La Carne - Fleisch

Originaltitel: 
La Carne
Land: 
Italien
Regie: 
Marco Ferreri
Drehbuch: 
Liliane Betti, Massimo Bucchi
Darsteller: 
Sergio Castellitto, Francesca Dellera, Philippe Léotard
zusätzliche Infos: 
FSK16
Kinostart: 
17.09.92

Marco Ferreri hat in seiner über dreißig jährigen Karriere sein Publikum immer wieder provoziert. Der 1928 in Italien geborene und 1997 in Paris gestorbene Ferreri betrat die großen Leinwände 1958 mit seinem Film „Die kleine Wohnung“ – zumindest eine Idee, die sich in „La Carne“ wieder findet, da die beiden Protagonisten das Strandhaus über weite Strecken des Films isolieren – und beendet sein Schaffen mit dem jetzt auf DVD vorliegenden „La Carne- Fleisch“ aus dem Jahre 1991.


Inhalt & Kritik:
von Thomas Harbach

Marco Ferreri hat in seiner über dreißig jährigen Karriere sein Publikum immer wieder provoziert. Der 1928 in Italien geborene und 1997 in Paris gestorbene Ferreri betrat die großen Leinwände 1958 mit seinem Film „Die kleine Wohnung“ – zumindest eine Idee, die sich in „La Carne“ wieder findet, da die beiden Protagonisten das Strandhaus über weite Strecken des Films isolieren – und beendet sein Schaffen mit dem jetzt auf DVD vorliegenden „La Carne- Fleisch“ aus dem Jahre 1991.

Für seinen vorletzten Film „Haus der Freunde“ erhielt er 1991 den goldenen Bären in Berlin. Mit "Das große Fressen" wurde der Italiener 1974 weltberühmt. Dort zogen sich vier Männer gemeinsam mit der drallen Andrea Ferreol in eine Villa zurück, um sich einer nach dem anderen umzubringen - durch Genuss. Der Film war ein "Skandal" und das Bürgertum tüchtig aufgeschreckt. Knapp 20 Jahre später folgte mit „La Carne“ zwar auf den ersten Blick eine erneute Satire auf das Bürgertum und seine persönliche These zum Kampf der Geschlechter, aber im Grunde finden sich viele Motive aus „Das große Fressen“ auf die Begierden der beiden Protagonisten reduziert im vorliegenden Film wieder.


Paolo, ein Architekt (Sergio Castellito), hat seinen Job aufgegeben und sich von Frau und Kindern getrennt. Er verdient nun sein Geld als Barpianist. Als er eines Tages der drallen Francesca (Francesca Dellera) begegnet, erlebt er durch diese hinreißende Frau seine "Erleuchtung". Die erotische Frau mit dem schönen Körper kommt ihm wie ein Geschenk des Himmels vor. In "hemmungsloser Leidenschaft" verbringt das Paar gleich einige Tage in Paolos Haus am Meer. Dass Francesca kein Fabelwesen ist, sondern eine Frau mit alltäglichen Bedürfnissen, nimmt Paolo nicht wahr. Immer weiter steigert er sich in einen erotischen Wahn, der schließlich pseudoreligiöse Züge bekommt. Inspiriert worden ist er allerdings von ihr, die früh einem Guru verfallen ist und ihn mittels eines orthopädischen Griffs auf Bett fesselt und in einer Dauererektion gefangen hält. Als Francesca die Koffer packen will, kommt es zur Katastrophe. Paolo will die Frau nicht einfach ziehen lassen.

In "Fleisch" zeichnet Ferreri nicht nur das Porträt eines Mannes, der in seinem erotischen Wahn den Boden unter den Füßen verliert. Schon auf den ersten Metern des Films erkennt der Zuschauer, dass Paolo trotz aller Sympathien, die ihm das Publikum entgegenbringt, im Grunde kein verantwortungsbewusster Mann ist. Er hat sich von seiner Frau getrennt und den ehrbaren Beruf des Architekten aufgegeben. Trotz seines neuen Lebens als Barkeeper unterstützt er weder seine Frau noch seine Kinder. Ferreri bleibt zwar auf dieser Handlungsebene eher ambivalent, immerhin braucht er den männlichen Protagonisten noch, aber er zeigt das schonungslose Portrait des gelangweilten Aussteigers, der sich allerdings in seiner neuen Welt genauso unwohl und fremd fühlt wie in den einengenden Hierarchien der modernen Gesellschaft.

Es sind diese Außenseiter, die oft am Beginn seiner Tragikkomödien stehen. Sie sind schon aus dem normalen Leben herausgetreten und der Zuschauer verfolgt im Grunde nur noch die letzte Schritte ihre Obsession. Als Francesca in sein Leben tritt, erscheint sie die ausgeflippte, Guruhörige Vollblutfrau zu sein. Mit Schmollmund und sehr weitem Ausschnitt, mit einer Löwenmähne – ein erster Zwischenschnitt in Palos Strandhaus folgt auch auf einen Löwen – und einer süßen Unschuld mit dem notwendigen Schuss Ruchlosigkeit. Die beiden verbringen die erste Nacht am Strand. Ohne Sex. Am nächsten Morgen beginnen sie ihre selbst gewählte Isolation, frönen allerdings noch einmal ihrer Konsumlust. Dabei zeigt sich vor allem Paolo als Genießer. Nur das teuerste vom teuersten, das Beste vom besten. Diese Obsession passt nicht zu den eher bescheidenen Figur, welche der Zuschauer bislang kennen gelernt hat. Mehr und mehr wird Paolo trotz seiner passiven Rolle zum Dominator.

Anspielungen auf das „Das große Fressen“ integriert Ferreri in einer Szene. Als Paolos Kinder ihn besuchen und er durch Francescas Lähmgriff ans Bett mit einer übergroßen Erektion gefesselt ist, lässt er sich von seinen Kindern mit warmer Schokolade durch einen Trichter füttern. Erst als seine Kinder und seine draußen vor der Tür wartende Ex- Frau wieder gegangen sind, taucht Francesca wie aus dem Nichts wieder auf. Die Szene wirkt erotisch verspielt mit einem Hauch der Perversion, zeigt aber auch einige Schwächen des Films. Paolos Ex- Ehefrau wartet seit Monaten auf einen Scheck und darum ist es unwahrscheinlich, dass sie sich die Chance entgegen lassen würde, direkt mit ihrem Ex- Mann zu sprechen. Gleich zu Beginn des Films haben die beiden eine verbale Auseinandersetzung.

Nicht von Angesicht zu Angesicht, sondern über den Türöffner. Warum versucht seine Ex- Frau also nicht, Kapital aus der kompromittierenden Situation ihres Ex zu schlagen? Auf diese Frage gibt Ferreri keine Antworten. Wie überhaupt die Eindringlinge sehr skizzenhaft charakterisiert werden. Der Film wird zur Groteske, wenn die beiden Polizisten sich über die Totenkopfflagge auf Paolos Grundstück aufregen und ihm die Nachricht bringen, dass sein Hund aus Trauer um sein Herrchen verhungert ist. Anschließend folgt die wahrscheinlich berühmteste Szene des Films. In einer überdimensionalen Hundehütte mit dem Namen des verstorbenen Tieres in grellen Farben aufgemalt, nimmt Paolo Francesco von hinten. Er wird eins mit seinem verstorbenen Tier, ohne das wirklich eine gemeinsame Beziehungsebene im Film aufgezeigt worden ist. Die Schwäche des Films liegt in seiner Augenblicklichkeit. Über Paolos Vorleben erfährt der Zuschauer ebenso wenig wie über die Francesca.

Der Zuschauer erlebt ihre Obsession und die sich abzeichnende Katastrophe mit, aber die Figuren berühren ihn zu selten. Das interessante ist allerdings, dass Paolo die Wirklichkeit seinem Wunschbild zum Teil entschlossen gewaltsam anpassen will. Dieser Prozess wandelt sich im Verlaufe des Films. Vom aktiven Liebhaber wird er schließlich zum devoten Sexobjekt, an dem sich Frau jederzeit bedienen kann, um abschließend den Verlust mit Gewalt kompensieren zu wollen. Für Paolo sind Genüsse jeglicher Art wichtiger als die teilweise sehr triste Realität. Er verbindet immer Essen und Sex, während Francesca zumindest zu Beginn des Films Sex mit Askese in Zusammenhang bringt. Nicht umsonst berichtet sie am ersten Morgen danach Paolo, dass er sie wieder zum Essen bringt. Natürlich ist „Fleisch“ wieder eine so typische Farce auf die in Ferreris Augen dekadente und vergnügungssüchtige Gesellschaft, die jeglichen Bezug zur Realität verloren hat.

Was „Das große Fressen“ im Großen geworden ist, hat Ferreri hier auf eine existentialistische Geschichte reduziert. Auch wenn Francesca in Paolos Hütte nicht den Tod, sondern das Vergnügen sucht, ist ihre soziale Isolation schon ein Schritt in die Richtung, zu der Ferreri nach „Das große Fressen“ nichts mehr hinzufügen konnte. Auch wenn die Betonung mehr auf Sex – trotzdem ist der Film im Vergleich zu anderen Werken nicht unbedingt expliziert und pornographisch, die Atmosphäre ist schwülstig und die Erotik einiger Szenen lässt deutlich zu wünschen übrig – und dem Zuschauen liegt, gehört das Essen, das Verspeisen und nur selten das Genießen untrennbar dazu. Wenn am Ende des Films die Störche endlich auftauchen und Francesca besuchen, während der geistesgestörte Paolo beginnt, sie zu zerstückeln und den Fischen im Meer zuzufüttern, wirkt dieser Augenblick so verstörend surrealistisch, das der Zuschauer aufhört, über das Geschehen nachzudenken und diese bizarren Bilder zu genießen.

Francesca Dellera hat nur in einigen wenigen Szenen mehr zu tun als erotisch auszusehen. Auch wenn die Presse sie zu einer neuen „Lolo“ und nach dem Auftritten in Tinto Brass Filmen als „Venus von Rom“ bezeichnet hat, überzeugt sie in erster Linie durch ihre körperlichen Reize. Die naive junge Frau kann sie weniger gut spielen. Sergio Castellitto lebt von Beginn des Films an seine exzentrische Rolle. Darum kann er sich in den wichtigen Szenen am Ende des Geschehens nicht mehr steigern. Hier wäre es sinnvoller gewesen, den Charakter zu Beginn deutlich zurückzunehmen und weniger affektiert darzustellen, damit das Publikum auch in ihm eine kontinuierliche Veränderung erkennen kann.

Mit „Fleisch“ verabschiedet sich Ferreri von seinem Publikum. Vielleicht ist es auch deswegen recht und billig, dass er sich mit einem bescheidenen Remake und einer Neuinterpretation seines populärsten, skandalträchtigsten und charakteristischen Film von der großen Bühne des italienischen Kinos zurückgezogen hat. Zu den Extra gehört ein sehr kurzer Blick hinter die Kulissen, der Originalkinotrailer und die Biographien der Hauptdarsteller und des Regisseurs. Obwohl es sich um eine Vollbildfassung handelt – der Film braucht auch kein Breitwandformat – überzeugt er vor allem durch seine kräftigen, realistischen Farben. Insbesondere die diversen Sonnenauf – und – untergänge sind unbeschreiblich schön und überzeugen auf der DVD. Leider wirkt das Bild durchgehend ein wenig unscharf.

Sowohl bei den in freier Natur spielenden Szenen als auch den nicht leicht wiederzugebenden Augenblick in Paolos Strandhaus, das nicht zuletzt aufgrund der vielen Gemälde sehr farbenprächtig ist. Der Ton ist auf beiden Tonspuren ein wenig blechern, die Dialoge sind aber sehr gut zu verstehen und die Kombination aus Hintergrundgeräuschen, Musik und den oft sehr leise gesprochenen Unterhalten gut abgestimmt.

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